Frühe „Kuriosität“: Der Kornspeicher in Janikow von 1906

Walter Gropius ließ Alma Mahler kurz nach seiner Rückreise aus Tobelbad mehrere Fotos zukommen, darunter eines seiner frühesten Arbeiten: Der Kornspeicher (Abb.: ÖNB, Cod. Ser. n. 41.309-4r und 4v)A mit angrenzendem Schmiede- und Waschhaus zählt zu den ersten ausgeführten Bauten im Œuvre von Walter Gropius, wurde von seinem Onkel Erich Gropius in Auftrag gegeben und auf dessen Rittergut Janikow in Pommern (Janikówo) von Frühling bis Spätsommer 1906 errichtet. Dem Kornspeicher folgten weitere landwirtschaftliche Nutzbauten und Landarbeiterwohnungen, die Walter Gropius von 1906 bis 1911, ab ca. 1909 auch unter Beteiligung Adolf Meyers, für seinen Onkel entwarf.

Der Kornspeicher stellt den Versuch dar, einen Nutzbau künstlerisch aufzuwerten und als Teil einer pittoresken Landschaft aufzufassen. Die einfache Grundform des in Sichtmauerwerk ausgeführten Gebäudes wird durch verschiedene Motive angereichert. Der mittlere zweigeschoßige Bauteil mit Giebel, das ausgeprägte Krüppelwalmdach und der seitlich angesetzte hohe Uhrturm bilden einen asymmetrischen und plastisch lebhaft gestalteten Baukörper. Der verwendete graue Ziegelstein stellte dabei ein lokal verbreitetes Material für landwirtschaftliche Nutzbauten dar, während die Verwendung der Fachwerkelemente am Uhrturm und unter dem Giebel des Hauptgebäudes handwerkliche Bautraditionen in die Gestaltung miteinbezog (s. Jaeggi 1994, S. 432–433 sowie Omilanowska 2007, S. 138).

In der vorliegenden Korrespondenz wird der Kornspeicher nur unter mehreren Fotos erwähnt, die Walter Gropius an Alma Mahler gesendet hatte, darunter auch Fotos seiner Familie und des elterlichen Ferienhauses in Timmendorfer Strand (s. AM8 vom 25. Juli 1910, Fotos heute im Nachlass Ida Gebauer in der ÖNB). Auf die Rückseite des Fotos vom Kornspeicher hatte Walter Gropius geschrieben: „Meine erste Arbeit, ein Kornspeicher, betrachte es nur als Kuriosität, wie ich!“ (Abb.: ÖNB, Cod. Ser. n. 41.309-4v). Offensichtlich sah Gropius bereits 1910, nach der Zeit im Behrens’schen Atelier, seinen früheren Entwurf als stilistisch überkommen bzw. veraltet an. Alma Mahlers Urteil hingegen fiel positiv, wenn auch knapp aus, als sie bemerkte, dass ihr der Bau sehr gefällt (AM8 vom 25. Juli 1910).

Adriana Kapsreiter